Enger Zusammenhang zwischen leidenschaftlicher Liebe und kognitiver Kontrolle

Frisch verliebte Studenten sind funktionell unkonzentriert

von Holger Westermann

Verliebtheit verändert die emotionale Grundstimmung und den Schwerpunkt der Aufmerksamkeit dramatisch. Betroffene leiden jedoch nur selten darunter, zumeist wird die tiefgreifende Veränderung der Psyche und des Sozialverhaltens sogar als angenehm beschrieben. Für das nähere soziale Umfeld, die Familie oder den Freundeskreis, ist die Verwandlung zumeist augenfälliger als für die Betroffenen selbst. Denn Liebe macht nicht nur blind (gegenüber seltsamen Eigenschaften des neuen Partners), sondern auch schusselig, die Konzentrationsfähigkeit leidet.

Zu diesem Ergebnis kommt ein niederländisches Forscherteam mit einer aktuellen Studie. Die Psychologen fanden heraus, dass die Frischverliebten um so zuverlässiger bei Konzentrationstest versagten, je intensiver sie ihr Verliebtsein erlebten. Für die Untersuchung wurden 43 frisch verliebte junge Erwachsene (Studenten, seit höchstens 6 Monaten in einer neuen Partnerschaft) einer simplen Konzentrationsprüfung unterzogen: Auf einem Bildschirm sollten einzelne Farbwörter erkannt werden, die unter anderen Begriffen versteckt oder die schlecht zu erkennen waren, das Farbwort und Textfarbe nicht überein stimmten. Zudem wurde mit einem standardisierten Test die individuelle Verliebtheit (emotionale Tiefe des Gefühls) quantifiziert.

Die Ergebnisse der Studie stützen die Alltagserfahrung. Je konsequenter die Aufmerksamkeit auf den neunen Partner konzentriert wird, um so dramatischer reduziert sich die Konzentrationsfähigkeit bei anderen Aufgaben. „Möglicherweise nutzen Verliebte alle ihre geistigen Ressourcen, um an die Liebste oder den Liebsten zu denken“, interpretiert Prof. Dr. Henk van Steenbergen von der Universität Leiden die Daten. Andererseits könnten auch Menschen mit „einem geringeren Grad kognitiver Kontrolle“ dazu neigen, konsequent ihren Gefühlen zu folgen – Rationale Typen verlieben sich nicht so heftig.

Soziobiologisch ist die vorübergehende Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfokussierung während des Verliebtseins durchaus sinnvoll. Durch die beim Menschen langen Kinder- und Jugendphase ist die Paarbildung eine prinzipiell langfristige Bindung zwischen zwei Individuen. Fehler bei der Partnerwahl sind schon seit Urzeiten teuer. Denn die biologische Währung misst sich nicht in Euro, sondern in der Überlebenswahrscheinlichkeit der Nachkommen (genau genommen in der Wahrscheinlichkeit Großeltern zu werden). Es ist zu erwarten, dass genau die genetischen Programme evolutionär überlebt haben, die eine maximale Auszahlung in dieser biologischen Währung gewährleisten. Nun ist es heutzutage nicht mehr unbedingt der reiche Kindersegen, der mit einer Paarbildung sicher gestellt werden soll. Dass die Partnerschaft aber über einen langen Zeitraum stabil und belastbar sein möge, das wünschen sich doch die meisten Menschen.

So ist es wohl zu verschmerzen, wenn über den diskreten Zeitraum der intensiv empfunden Verliebtheit die Konzentrationsfähigkeit leidet. Die niederländischen Psychologen sind sich sicher, dass sich mit der Etablierung der Partnerschaft die richtige Balance der Aufmerksamkeitsverteilung wieder einstellen wird.

Quellen:

van Steenbergen, H. et al. (2013): Reduced cognitive control in passionate lovers. Motivation and Emotion, November 2013. doi: 10.1007/s11031-013-9380-3

Erstellt am 12. November 2013
Zuletzt aktualisiert am 12. November 2013

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