Wetter
Föhn, dynamische Wärme durch Badewanneneffekt
Der warme Fallwind weht noch einmal spätsommerliches Wetter ins Alpenvorland. Blauer Himmel, garniert mit Wolkenkeksen oder mächtiger weißen Wänden, Sonnenschein und kräftiger Wind erwärmen Körper und Gemüt. Doch einige Menschen klagen bei Föhn auch über unangenehme innere Unruhe, Konzentrationsprobleme, Herz-Kreislauf-Belastung oder sogar Migräne. Dabei ist durchaus umstritten, wie diese Wetterlage überhaupt entsteht.
Ursprünglich galt die Bezeichnung Föhn nur für die an den Alpen auftretenden Fallwinde. Inzwischen kennt man den Föhneffekt aber auch von anderen Gebirgen, die vereinzelt deutlich niedriger sind als das mächtige mitteleuropäische Faltengebirge*. Deshalb haben Meteorologen zur genauen Bezeichnung den Begriff "Alpenföhn" eingeführt. Für die Entstehung des Föhns im Allgemeinen und des Alpenföhns im Speziellen gibt es mehrere meteorologische Theorien.
Thermodynamische Föhntheorie:
Ein Tiefdruckgebiet nördlich der Alpen und ein Hochdruckgebiet südlich dieser orographischen Barriere streben nach Druckausgleich. Luft strömt vom Hoch zum Tief, in diesem Fall über die Bergkette hinweg. Dabei kühlt sich die feuchte Warmluft während ihres Aufstiegs an der Alpensüdseite (Luv, windzugewandte Seite) sukzessive ab. Je 100 Höhenmeter wird sie um 1°C kälter (trockenadiabatisch) und je kälter die Luft wird, desto weniger Wasserdampf kann sie tragen. Irgendwann ist die Luft gesättigt, die Luftfeuchte beträgt 100 % und es beginnt zu regnen. Danach kühlt die aufsteigende Luft zwar weiterhin ab, aber nur noch etwa halb so stark (0,5 bis 0,6°C pro 100 Höhenmeter, feuchtadiabatisch) wie vor der Wolkenbildung. Das liegt daran, dass bei der Kondensation der Regentropfen Wärme frei wird, die das weitere Abkühlen bremst.
Die Regenwolken werden mit der aufsteigenden Luft über den Alpenkamm hinaus gehoben und sind dann von der Nordseite aus als „Föhnmauer“ zu sehen. Die inzwischen recht trockene Luft fließt nun auf der Leeseite (windabgewandte Seite) zu Tal und erwärmt sich dabei, bis zur Wolkenunterkante zunächst trockenadiabatisch, dann feuchtadiabatisch. Die Temperatur eines Luftpakets, das sich im Föhn von Bozen (300m üNN) nach Garmisch-Partenkirchen (700m üNN) bewegt, beschreibt eine interessante Wärmekurve: 10°C Starttemperatur, bei -2°C setzt nach trockenadiabatischem Aufstieg bis 1500m üNN an der Alpensüdseite die Wolkenbildung ein, -9,5°C auf Kammhöhe bei 3000m üNN nach feuchtadiabatischem Aufstieg, -8,5°C nach 200m feuchtadiabatischem Absacken zur Wolkenunterkante in Lee der Alpen, +12,5°C durch trockenadiabatisches Erwärmen bis Garmisch-Partenkirchen (700m üNN). Läge Garmisch-Partenkirchen auf gleicher Meereshöhe wie Bozen (300m üNN) läge die Temperatur bei +16,5°C. Der thermodynamische Föhneffekt erwärmt die Luft bei ihrem Weg über die Alpen potentiell um +6,5°C.
Doch gelegentlich wird auch Föhn beobachtet, ohne dass sich in Luv am Alpensüdhang Wolken bilden. Zudem wird nicht in jedem Fall der Alpenkamm überströmt. Föhn kann auch auftreten, wenn sich der Wind nicht aus südtiroler Luft speist.
Dynamische Föhntheorie:
Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass sich Luftmassen unter bestimmten Voraussetzungen wie Flüssigkeiten verhalten. In einem gleichmäßig strömenden Fluss bewirken Hindernisse, dass sich Wellen und Wirbel bilden. Vor dem Hindernis staut sich das Wasser, es bildet sich sogar ein kleiner Wellenberg (das gestaute Wasser wölbt sich über die normale Wasseroberfläche). Hinter dem Hindernis entstehen Turbulenzen und ein kleines Wellental (das Niveau liegt unter der normalen Wasseroberfläche). Je schneller das Wasser strömt, um so deutlicher ist der Effekt zu sehen.
In vergleichbarer Weise sprechen Meteorologen vom mountain-wave-Konzept der Föhnentstehung. Mountain waves (Bergwellen) können überall dort auftreten, wo eine starke Strömung auf eine orographische Barriere trifft, beispielsweise der ausgleichende Luftstrom zwischen einem mediterranen Hochdruckgebiet und einem Tief über Südwestdeutschland, der die Alpen überqueren muss. Dabei staut sich ein Luftpaket am luvseitigen Alpenhang (Totluft). Für die in größerer Höhe heranströmende Warmluft wirkt die Totluft wie eine Rampe zum Überqueren der Alpen. Vor dem Hindernis „Alpen“ staut sich die Luft ein wenig an, es entsteht ein Wellenberg; hinter dem Hindernis bildet sich ein Tal, die Luft sinkt ab.
Physikalisch betrachtet, sind solche Bergwellen stehende Wellen im Luftstrom. Das bedeutet, dass die Welle am Hindernis ortsstabil bleibt, während die Luft hindurch strömt (Im Gegensatz zur Meereswelle, dort bleibt das Wasser an Ort und Stelle, aber die Welle bewegt sich vorwärts). Nicht die in Luv gestaute Luft fließt über die Alpen, sondern die Höhenluft ergießt sich aus 2000 bis 3000m wie eine Wasserfall (oder eine überlaufende Badewanne) über die Alpenkante, da die Totluft den Luftmassenspiegel angehoben hat und das Tiefdruckgebiet im Norden Luft ansaugt.
So richtig in Schwung bekommt die Wellenwirkung durch die Lücken- oder Düseneffekte (gab dynamic) zwischen den Berggipfeln. Hier klaffen Scharten im Badewannenrand, durch die die Luft zuerst hindurchfließt. Stiegt der Luftspiegel weiter an, erhöht sich dort der Druck und somit die Durchflussgeschwindigkeit, bis der komplette Alpenkamm überströmt wird. Dann verliert sich der Effekt wieder.
Die an sich leichtere Warmluft kann ins Tal absinken und die schwere Kaltluft verdrängen, weil das Tiefdruckgebiet die bodennahe Luft absaugt, sobald die Föhn-Luftmassen nachdrängen (horizontale Aspirationstheorie). Unterstützt wird der Effekt durch das Wellental und die Wirbel nach dem Überströmen der Alpen (Leewellentheorie). Zu beobachten ist diese Leewelle auch an den typischen Föhnwolken (Föhnfische), die sich entlang solcher Wellen gruppieren.
Weniger bekannt, in der Praxis aber recht verbreitet, sind schwächere Föhneffekte im Lee von niedrigeren Geländestufen und Mittelgebirgszügen. Typischerweise treten solche Föhnlagen in den Wintermonaten bei starker Warmluftadvektion (Warmlufteinstrom) auf. Die Warmluft bleibt auf der kalten Luft am Boden liegen, da die Sonneneinstrahlung (beispielsweise wegen Nebel) die bodennahe Luft nicht hinreichend erwärmen kann, dass eine Durchmischung stattfindet. So kann eine nur wenige 100m flache, aber starke Temperaturinversion (oben warm, unten kalt) auftreten. Verlagert sich die Kaltluft von einer Hochfläche oder einem Mittelgebirgszug in Richtung Tiefebene, so fließt die wärmere und trockenere Luft aus höheren Luftschichten nach. Dabei lösen sich die Nebel auf, die Sicht wird besser, die Temperatur steigt spürbar an. Diese Effekte treten großräumiger auf, sie sind nicht auf einzelne Täler begrenzt und können sich noch relativ weit von der Geländeschwelle entfernt bemerkbar machen. Die Windgeschwindigkeit nimmt nur unwesentlich zu. Dennoch handelt es sich auch dabei um Föhn.
(*das ist kein kosmetischer Effekt, sondern ein geologischer und zwar ein vergleichsweise junger. Faltengebirge entstehen, wenn sich Platten der Erdkruste übereinander schieben. In der „Knautschzone“ wird der Plattenrand aufgefaltet, es entstehen Gebirge. In Europa beispielsweise die Alpen, der Jura, die Kapaten, der Kaukasus (Grenze zu Asien) oder die Pyrenäen; in Amerika die Anden und Rocky Mountains, in Asien der Himalaya und der Hindukusch, in Afrika das Atlasgebirge. Fast alle dieser Faltengebirge sind geologisch jung, sie sind in den letzten 20 bis 40 Millionen Jahren entstanden.)
Quellen: M.Sc. Met. Stefan Bach: Föhn. Thema des Tages, Newsletter des Deutschen Wetterdienstes (DWD) vom 24.10.2013
Welzenbach, F. (2011): Grundlagen zum Föhn - eine Einführung. Online veröffentlicht am 16.11.2011
Erstellt am 24. Oktober 2013
Zuletzt aktualisiert am 24. Oktober 2013
Unterstützen Sie Menschenswetter!
Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.
Wetterwechsel von Herbst zum Winter
Die stabile, zunächst sonnige später vielerorts nebelige Hochdruck-Wetterlage endet abrupt mit Regen, Sturm und Schnee. Jetzt ziehen Sturmtiefs heran und führen polare Kaltluft zunächst von West nach Ost und später auch südwärts bis an die Alpen. weiterlesen...
Asthma Selbstmanagement erleben
Kostenloses Webinar - Meine AsthmaGesundheit
Jeder Mensch mit Asthma muss sich mit sehr persönlichen Herausforderungen arrangieren und darauf reagieren.
Mit Unterstützung des digitalen Asthma-Assistenten breazyTrack fällt es leichter die eigene AsthmaGesundheit im Blick zu behalten. Wer die alltäglichen Risiken durch Wetter und Luftschadstoffe kennt, kann sie angemessen berücksichtigen. Zusätzlich kann Ihnen ein individuelles Online-Atemtraining mit einem zertifizierten AsthmaCoach souveränes Verhalten bei Ihrer alltäglichen Atemproblemen oder gar Atemnot erklären und mit Ihnen die für Sie richtige Technik üben. So funktioniert modernes Asthma Selbstmanagement.
Die Live-Webinare werden alle 14 Tage angeboten. Reservieren Sie sich noch heute einen Platz in der nächsten Online-Veranstaltung!Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen
Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...
Das Projekt Menschenswetter
Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen
Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...
Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose
Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...