Auch bei bakterieller Infektion sind die Medikamente eher Belastung als Hilfe

Erkältung ohne Antibiotika kurieren

von Holger Westermann

Grippe und Schnupfen sind Virusinfektionen, gegen die Antibiotika nicht wirken. Das ist inzwischen auch medizinischen Laien bekannt. Doch sobald sich der abgehustete Schleim gelb oder grünlich färbt erkennen Patienten - und oftmals auch Ärzte - darin das Signal für eine opportunistische Bakterieninfektion, die mit Antibiotika behandelt werden muss. Das ist jedoch ein Irrtum.

Richtig ist, dass die Färbung des abgehusteten Schleims eine Bakterienbesiedelung anzeigt. Nicht richtig ist, dass die Patienten dadurch schneller wieder gesund werden. Diesen Schluss zieht ein Forscherteam der Universität Cardiff (Großbritannien) der Analyse systematischer Beobachtungen in 125 Arztpraxen in 13 Ländern im Rahmen der GRACE-Studie. Ziel dieses großen europäischen Verbundprojektes ist es bei ansteckenden Erkrankungen der Atemwege wie Bronchitis oder Lungenentzündungen Antibiotika-Resistenzen zu vermeiden.

Das Risiko ist evident. Notierten Ärzte gelben oder grünen Schleim in den Diagnoseakten, verordneten sie mit signifikant größerer Wahrscheinlichkeit ein Antibiotikum als bei trockenem Husten oder farblosem Schleim. Am geringsten war der Effekt in Spanien (19,6%) am größten in der Slowakei (88,2%). Dabei spielte die Befindlichkeit der Patienten, deren subjektive Gesundheitsbeeinträchtigung, offensichtlich keine Rolle.

Vielmehr scheint die Farbe des Schleims vielen Medizinern als eindeutiger Hinweis auf eine bakterielle Infektion mit Eiterbildung als Ursache des Hustens zu genügen. Doch diese Diagnose ist schon länger strittig. Denn dann müsste eine Therapie mit Antibiotika stets besser helfen als einfach abzuwarten. Die Auswertung der Tagebücher (bis mindestens 28 Tage nach dem Arztbesuch) von 3.402 erwachsenen Patienten ergab keinen Unterschied der mittleren Leidenszeit: Ohne Medikamente plagt eine Erkältung 14 Tage, mit Medikamenten nur zwei Wochen.

In ihrem Fazit erklären die Forscher: „Unsere Befunde bekräftigen die Botschaft, dass akuter Husten bei ansonsten gesunden Patienten ein Zustand ist, der von selbst zu Ende geht, und dass eine antibiotische Behandlung die Genesung nicht nennenswert beschleunigt." Und sie appellieren an ihre Kollegen: „In dieser Situation Antibiotika zu verschreiben, mutet Patienten unnötige Nebenwirkungen zu, unterminiert die Selbstverantwortung der Patienten und begünstigt Antibiotika-Resistenzen."

Quellen:

Butler, C.C. et al. (2011): Antibiotic prescribing for discoloured sputum in acute cough/lower respiratory tract infection. European Respiratory Journal 38 (1): 112-118. DOI: 10.1183/09031936.00133910

Erstellt am 23. Februar 2016
Zuletzt aktualisiert am 23. Februar 2016

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