Meteorologen erwarten, dass feuchtwarme Wetter-Episoden zukünftig häufiger auftreten

Bei Schwüle gilt die gefühlte Temperatur

von Herbert Gmoser

Wie sehr die Sommerhitze Wohlbefinden und Gesundheit belastet, lässt sich nicht allein am Thermometer ablesen. Auch Windgeschwindigkeit und Wasserdampf-Konzentration entscheiden darüber, ob die Wärme als angenehm oder drückend, als motivierend oder lähmend wahrgenommen wird. Kombinieren sich Windstille, Hitze und hohe Luftfeuchte zu Schwüle, sinkt die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit genau so wie die mentale Belastbarkeit.

Denn der menschliche Organismus kennt gar kein Temperaturempfinden; die spürbaren Wärme- und Kältereize unterstützen die Regulation der Körperwärme. Optimal ist tagsüber eine Kerntemperatur von rund 36,5°C, wobei die Aktivität von Muskeln und Organen unablässig Wärme produziert, die abgeleitet werden muss. Der Wärmeaustausch erfolgt über im Körperinnern erwärmtes Blut, das sich an der Hautoberfläche abkühlt. In kühler Umgebung genügt dazu eine geringe Blutmenge, die Adern ziehen sich zusammen und verringern so den Wärmeverlust. Im warmer Umgebung weiten sich die Adern, damit trotz der geringen Temperaturdifferenz zwischen Blut und Umgebungsluft noch genügend Körperwärme abgeführt werden kann. Unterstützt wird die Wärmeableitung durch Schwitzen. Verdunstet das Wasser auf der Haut, kühlt sich die Oberfläche ab und damit auch das darunter vorbeiströmende Blut.

Bei Schwüle ist die Luft jedoch weitgehend mit Feuchtigkeit gesättigt (hohe relative Luftfeuchte). Der Schweiß kann nicht verdunsten, sondern rinnt wirkungslos am Körper herunter. Die Wärmeableitung aus dem Körperinnern funktioniert nicht mehr zuverlässig. Wärmeproduzierende Muskel- und Organaktivität werden reduziert, die Menschen fühlen sich schlapp und antriebslos. Für Menschen mit chronischen oder akuten Gesundheitsproblemen können solche Belastungen ein ernstzunehmendes Risiko darstellen. „Der Zusammenhang zwischen mittlerer Tagestemperatur und Blutdruck könnte zum Teil erklären, warum das Sterberisiko aufgrund von Herz-Kreislauferkrankungen bei extremen Wetterverhältnissen zunimmt“, erläutert Dr. Katja van den Hurk von Sanquin Research in Amsterdam (Niederlande) die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Auswertung der Daten von 101.377 gesunden Blutspendern (18 bis 70 Jahre alt). Für die Studie wurden vor der Blutentnahme Blutdruck, Körpergewicht, Hämoglobinwert und Pulsrate gemessen und mit den aktuellen meteorologischen Daten korreliert.

Ein wesentlicher Grund für den starken Einfluss der Temperatur auf den Blutdruck sind die extrem weit gestellten Adern. Bei gleicher Blutmenge vergrößert sich durch die Weitstellung das Volumen in den Adern, dadurch sinkt der Blutdruck und infolgedessen auch die Sauerstoffversorgung von Muskulatur, Organen und Gehirn. Offensichtlich wird dieser Temperatur-Effekt jedoch kaum durch die Luftfeuchte beeinflusst. Erst wenn durch den Wasserverlust bei Schwitzen die Blutmenge schrumpft und das Blut eindickt, wirkt die Schwüle stärker blutdrucksenkend als trockene Hitze. Wobei auch bei trockener Hitze dem Körper über Schwitzen und die Atmung viel Wasser verloren geht. Deshalb muss bei hoher Lufttemperatur, unabhängig von Schwüle und belastendem Hitzeempfinden, stets auf ausreichende Kompensation des Wasserverlustes geachtet werden. Dickt da Blut ein, erhöht sich auch bei weit gestellten Adern das Infarktrisiko.

Eine Auswertung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) zeigt, dass die Zahl der schwülen Tage im noch nicht zu Ende gegangenen Sommer 2015 bereits sehr hoch ist. Die Anzahl in diesem Jahr erreicht oder übertrifft an vielen Orten bereits Ende Juli die klimatologischen Mittelwerte für den gesamten Sommer.

Als schwül wird ein Tag mit einer Äquivalenttemperatur von mindestens 56 °C definiert. Die Äquivalenttemperatur verweist auf jene Temperatur, welche die Luft erreichen würde, wenn der gesamte enthaltene Wasserdampf kondensiert und die dabei frei werdende Wärme die Lufttemperatur zusätzlich erhöht.

So treten in Innsbruck (Kärnten, Österreich) im Mittel zwischen dem 1. Juni und dem 31. August (meteorologischer Sommer) neun schwüle Tage auf. Im diesem Sommer 2015 sind es bislang schon 14 Tage. In Klagenfurt (Kärnten, Österreich) wird das dortige 30-jährige Mittel von 16 Tagen im heurigen Sommer bereits um 3 Tage übertroffen. Dagegen gab es in Wien bisher nur 13 schwüle Tage. Der langjährige Durchschnitt liegt bei 22 Tagen.

Die Zahl der schwülen Tage ist aber nicht nur in diesem Sommer sehr hoch. Seit einigen Jahren steigen diese. Für den Anstieg gibt es zwei Gründe:
Je wärmer die Luft ist, desto mehr Wasserdampf kann sie aufnehmen. Schwüle ist eine Kombination von warmer und sehr feuchter Luft.
Ein zusätzlicher Effekt ist durch eine Änderung in den Großwetterlagen gegeben. Vermehrt treten Südwestlagen auf, die warme und feuchte Luft aus dem Mittelmeerraum in den Alpenraum bringen.

Eindeutig ist der Trend, dass in den letzten Jahren durchgängig überdruchschnittlich viele schwüle Tage registriert werden. Wetterempfindliche Menschen müssen sich auf diese Herausforderung für ihre Gesundheit einstellen.

Anzahl schwüler Tage

Quellen:

Hitzebelastung an schwülen Tagen höher. Pressemitteilung der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) in Wien vom 23.07.2015.

van den Hurk, K. et al.(2015): Higher outdoor temperatures are progressively associated with lower blood pressure: a longitudinal study in 100,000 healthy individuals. Journal of the American Society of Hypertension, online veröffentlicht am 11.5.2015. DOI: 10.1016/j.jash.2015.05.003

Westermann, H. (2015): Steigt die Temperatur, fällt der Blutdruck. Menschenswetter Artikel 1265, online veröffentlicht am 16.07.2015.

Erstellt am 30. Juli 2015
Zuletzt aktualisiert am 31. Juli 2015

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