Extremwerte belasten deutlich weniger - weil sich die Menschen darauf einstellen
Maximales Risiko durch moderate Temperaturreize
Für die Gesundheit sind nicht klirrender Frost oder drückende Schwüle besonders bedrohlich; die größte Gefahr geht vom Frösteln bei mäßiger Kälte aus. Das ist das Ergebnis einer Studie auf Grundlage weltweit erhobener Daten, die alle nennenswert besiedelten Klimazonen berücksichtigten.
Ein Forscherteam um den Biostatistiker und Epidemiologen Dr. Antonio Gasparrini vom Hygiene- und Tropeninstitut in London (Großbritannien) untersuchte insgesamt 74.225.200 Todesfälle zwischen 1985 und 2012 aus 13 Staaten. In Europa waren Spanien, Italien, Großbritannien und Schweden (Reihenfolge von Süd nach Nord) vertreten. Dabei erwies sich kaltes Wetter als viel schädlicher als warmes - wobei Extremwerte, ob eisige Kälte oder große Hitze, nur für relativ wenige Todesfälle verantwortlich waren. Die höchste wetterbedingte Mortalität beobachteten die Forscher an mäßig heißen Tagen, vorrangig aber an Tagen mit moderaten Kältereizen.
In Madrid (Spanien) starben die meisten Menschen bei 8°C; das zweite Maximum der Mortalitätskurve lag bei 25°C. Um den Gefrierpunkt und über 30°C flachte die Kurve dagegen stark ab. Der niedrigste Wert wurden für Spanier mit 22°C ermittelt. Ein vergleichbarer Kurvenverlauf zeigte sich in allen Klimazonen, ob heiß oder feucht ob kalt oder trocken: Die Mortalitäts-Temperatur-Kurve glich einem großen M.
Zu einem vergleichbaren Ergebnis kam die Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Bryan Schwartz vom Good Samaritan Krankenhaus in Los Angeles (Kalifornien, USA) in ihrer 2012 und 2013 veröffentlichten Studie. In ihrer Untersuchung der kreislaufbedingten Todesfälle (Herzinfarkte, Herzversagen und Schlaganfälle) im Zeitraum von 2005 bis 2008 an sieben US-Standorten aus unterschiedlichen Klimazonen wurden während des Winters durchschnittlich 26 bis 36% mehr Ereignisse registriert als in den Monaten mit milderem Wetter. Auch hier langen nicht alle Untersuchungsgebiete in frostgefährdeten Regionen, dennoch stiegen während der vergleichsweise kühlen Jahreszeit allerorten die Herz-Kreislauf-Risiken.
Hitze belastet das Herz-Kreislauf-System, weil beim Schwitzen dem Blut Wasser entzogen wird und das Herz dann dickflüssigeres Blut pumpen muss. Andererseits weiten sich in warmer Umgebung die Adern, der Blutdruck fällt und damit verschlechtert sich auch die Versorgung von Gehirn, Organen und Muskulatur mit Sauerstoff. Das Herz schlägt rascher und benötigt nun selbst mehr Zucker und Sauerstoff. Die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit der Menschen schwindet merklich, Herz-Kreislauf-Patienten leiden besonders intensiv.
Bei Kälte ziehen sich hingegen die Adern zusammen, der Blutdruck steigt an und damit auch das lebensbedrohliche Infarktrisiko. Zudem häufen sich Atemwegserkrankungen, die Herz und Kreislauf zusätzlich belasten. Auch das Immunsystem arbeitet in kühler Umgebung weniger zuverlässig. Dabei ist nicht der Thermometerwert (der bei den hier zitierten Studien als Berechnungsgrundlage verwendet wurde) relevant, sondern die gefühlte Temperatur. Denn Menschen können keine absolute Temperatur empfinden. Sie spüren nur, wieviel Wärme dem Körper entzogen wird. Das ist in warmer Umgebung weniger als bei Kälte. Aber auch Wind, Luftfeuchte und Sonnenstrahlung (direkt oder reflektiert) beeinflussen das Wärmeempfinden. Bei Wolken, Wind und Regen frösteln die Menschen eher als im Sonnenschein.
Zudem registrieren die Studien nur Extremereignisse, die Todesfälle infolge eines Herz-Kreislauf-Ereignisses. Die Leidenskurve der Menschen, die keinen Infarkt erlitten (oder ihn überlebten), finden in den Studien keine Beachtung. Zudem blieben bei der Analyse wichtige Faktoren wie Alter, Gesundheitszustand, Armut oder Reichtum oder Luftverschmutzung unberücksichtigt. Dies wurde durch Prof. Dr. Keith Dear und Dr. Zhang Wang von der Duke Kunshan Universität (Jiangsu, China) in einem Kommentar zur aktuellen Studie kritisiert.
Deshalb bezieht sich Menschenswetter für die erkrankungs-spezifischen Vorhersagen ausschließlich auf die gefühlte Temperatur. Dabei werden bereits Warnungen ausgesprochen, wenn eine merkliche Beeinträchtigung des Wohlbefinden zu befürchten ist. Akute Gesundheitsrisiken sind seltene Episoden der Eskalation. Unangenehme, schmerzhafte oder Besorgnis erregende Veränderungen des Gesundheitszustands aufgrund des Wetters erleben Betroffene ungleich häufiger. Menschenswetter möchte Ihnen mit den tagesaktuellen Prognosen dabei helfen, sich jeden Tag optimal auf den zu erwartende Wettereinfluss einzustellen.
Quellen: Schwartz, B. (2012): Heart-related deaths increase in winter regardless of climate. American Heart Association Meeting Report, Abstract 11723. Dearemail, K.; Wang, Z. (2015): Climate and health: mortality attributable to heat and cold", The Lancet, online veröffentlicht am 20.5.2015. doi: 10.1016/S0140-6736(15)60897-2).
Zanobetti, A. et al. (2013): Susceptibility to mortality in weather extremes: effect modification by personal and small-area characteristics. Epidemiology 24 (6): 809–819. doi: 10.1097/01.ede.0000434432.06765.91.
Gasparrini, A. et al. (2015): Mortality risk attributable to high and low ambient temperature: a multicountry observational study", The Lancet, online veröffentlicht am 20.5.2015. doi: 10.1016/S0140-6736(14)62114-0).
Erstellt am 22. Mai 2015
Zuletzt aktualisiert am 23. Mai 2015

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