Übernatürliche Reize erregen besonders viel Aufmerksamkeit

Sexappeal stimuliert Hilfsbereitschaft

von Holger Westermann

Zumindest erregen High Heels, Tätowierungen oder schlicht die Farbe rot hinreichend Aufmerksamkeit, damit sich Männer gegenüber Frauen als galant oder zumindest gut erzogen erweisen. Eine Binse, die durch Alltagserfahrung gestützt wird. Die Werbung nutzt diesen Effekt mit ermüdender Ausdauer. Nun wurde die qualitativ offensichtliche Wirkung der übernatürlichen Reize auch quantitativ untersucht.

Der Professor für Sozial- und Kognitive Psychologie Dr. Nicolas Guéguen von der Université de Bretagne-Sud (Vannes, Bretagne, Frankreich) widmet sich in seinen Forschungsprojekten der männlichen Reaktion auf positive weibliche Provokationen – wie und in welchem Umfang dadurch soziale Interaktionen mit Unbekannten unterstützt werden. Dabei richtet er den Fokus seines Forschungsinteresses auf solche Signale, die natürliche Reize unterstützen: beispielsweise durch hohe Schuhe verlängerte Beine, präsentiertes Hautdekor oder provozierend auffällige Farbgebung.

Der Vorteil dieses experimentellen Konzeptes liegt darin, dass nichtnatürliche Reize skalierbar sind; eine Frau kann High Heels unterschiedlicher Absatzhöhe tragen, Tätowierungen können mehr oder weniger offensichtlich oder großflächig sichtbar sein, die Farbe rot kann in unterschiedlichem Umfang die Kleidung dominieren. Zudem kommuniziert ein nichtnatürlicher Reiz auch die (selbst-) bewusste Entscheidung der Reizquelle, genau dieses Signal setzen zu wollen. Den ausgewählten Stimulanzien ist gemeinsam, dass sie nicht zufällig oder als Laune der Natur auftreten, sondern dass die Beobachter (in diesem Fall Männer) davon ausgehen können, ein beabsichtigtes Signal zu empfangen.

Für das Experiment „High Heels“ schickte Guéguens Team junge Frauen als Lockvögel los. Die 19 Jahre alten Freiwilligen trugen Schuhe mit unterschiedlich hohen Absätzen – von 0,5 cm über 5 cm bis hin zu 9 cm und testeten die Hilfsbereitschaft von Männern im Alter zwischen etwa 25 und 50 Jahren. Im ersten Test bemühten sich die Lockvögel um ein Interview zum Thema „Gleichstellung der Geschlechter“. Frauen mit flachen Absätzen konnten rund die Hälfte der angesprochenen Männer für die fingierte Umfrage begeistern, mit mittelhohen Absätzen gelang dies bei fast zwei Drittel und mit hochhackigen Schuhen konnten mehr als 80% der Männer für das Interview gewonnen werden. Eine Wiederholung dieses Tests mit 45 Frauen und 45 Männern mit einem weniger politischen Interviewthema (Lokale Essgewohnheiten) bestätigte das Ergebnis. Wurden Frauen für die fingierte Befragung angesprochen, nahmen sich rund ein Drittel dafür Zeit – unabhängig von der Absatzhöhe der Fragestellerinnen.

Der zweite Test orientierte sich an einem Klassiker der Kontaktanbahnung zwischen den Geschlechtern: Den jungen Damen entglitt augenscheinlich unabsichtlich und somit unbemerkt ein Handschuh. Waren die Männer hinreichend hilfsbereit, den Handschuh vom Boden aufzuheben und den Lockvögeln hinterher zu tragen – und welchen Einfluss hatte die Absatzhöhe darauf? Sicherlich spielt die prinzipielle Hilfsbereitschaft eine wesentliche Rolle, doch jenseits dieses Sockeleffektes durch „Gute Kinderstube“ ergaben sich markante Unterschiede. Bei jungen Frauen mit flachen Absätzen nutzten nur 63% der Männer diese Gelegenheit zur persönlichen Kontaktaufnahme; trug die Frau hochhackige Schuhe schnellte die Quote auf 93%; man könnte sagen: Jedermann war hilfsbereit.

In einem dritten Test quantifizierten die Forscher den Effekt hoher Absätze über die Zeit, bis eine Frau angesprochen wird. Dazu schickten sie ihre Lockvögel in eine Kneipe und warteten, bis die Frauen angesprochen wurden. Mit High Heels dauerte es nur knapp 8 Minuten, in flachen Schuhen blieben die Frauen doppelt so lang ungestört.

In der Diskussion der Ergebnisse seiner Untersuchung erinnert Prof. Guéguen daran, dass einerseits die hohen Schuhe ein direktes sexuelles Signal darstellen, die Beine erschienen länger und schlanker (also jünger und symbolisieren ein höheres Fortpflanzungspotential), zudem verändert sich auf Stöckelschuhen der Gang der Frauen; andererseits werden High Heels in den Medien und der Werbung häufig mit Erotik und sexuellem Interesse gleichgesetzt. Welcher Aspekt intensiver auf Männer wirkt, der unmittelbare optische Reiz oder der mittelbare aufgrund gelernter Chiffren für sexuelle Verfügbarkeit, konnte mit den Experimenten nicht geklärt werden.

Dieses Manko kennzeichnet auch die anderen Untersuchungen dieser „Forschungs“-Abteilung. So ergab die Analyse von 220 Episoden mit 11 Lockvögeln im Bikini, dass eine gut sichtbare Tätowierung (11 x 5 cm groß) die Wahrscheinlichkeit verdoppelte von Männern angesprochen zu werden (25% : 11%). Dementsprechend reduzierte sich die Zeit bis zur ersten Ansprache von 35 auf 25 Minuten. Einen wichtigen Hinweis, wodurch dieser Unterschied im Männerverhalten motiviert sein könnte, ergab sich aus Interviews von 440 Männer am Strand. Die Mehrzahl bevorzugten eine Verabredung mit einer tätowierten Frau. Zwar beurteilten sie den sichtbaren Körperschmuck nicht als attraktivitätssteigernd, doch sie hofften, dass sich diese gleich beim ersten Rendezvous auf Sex einlassen würden.

Das selbe Signal geht offensichtlich auch von der Kleiderfarbe rot aus. 120 männliche Studenten (18 und 21 Jahre alt) sollten anhand eines Fotos die Attraktivität einer jungen Frau beurteilen und darüber spekulieren, inwiefern diese Frau zu einem sexuellen Abenteuer animiert werden könnte. Das Foto der Frau wurde in vier Varianten angeboten: je 30 Studenten sahen die Frau in einem blauen, grünen, weißen oder roten T-Shirt. Die Dame in Rot wurde als besonders attraktiv empfunden und beflügelte die Phantasie der jungen Männer am heftigsten.

So bleibt als Fazit, dass übernatürliche Frauen-Reize die Männer-Aufmerksamkeit inspirieren und sogar positives Sozialverhalten stimulieren (sofern es eine Frau als angenehm empfindet, von Männern angesprochen zu werden). Nicht geklärt werden konnte, ob dieser Effekt allein auf die Attraktivitätssteigerung zurückzuführen ist oder auf dem Image der sexuellen Verfügbarkeit beruht, die diese Reize offensichtlich ebenfalls signalisieren. Prof. Guéguen verweist auf die erlernte (westliche) Kultur: Männer interpretieren die offensichtlich optimierte körperliche Attraktivität als Ausdruck erhöhter Paarungsbereitschaft. Kleidung und Körperschmuck sind Kommunikationsmittel, die nicht nur Persönlichkeit ausdrücken, sondern auch als Ausdruck der Persönlichkeit interpretiert werden.

Quellen:

Guéguen, N. (2012): Color and Women’ Attractiveness: When Red Clothing Women Were Perceived to Have Higher Sexual Intent. Journal of Social Psychology 152 (3): 261 - 265. DOI: 10.1080/00224545.2011.605398

Guéguen, N. (2013): Effects of a Tattoo on Men’s Behavior and Attitudes Towards Women: An Experimental Field Study. Archives of Sexual Behavior 42(8): 1517-1524. DOI: 10.1007/s10508-013-0104-2  (Volltext)

Guéguen, N. (2014): High Heels Increase Women’s Attractiveness. Archives of Sexual Behavior, online veröffentlicht am 19. 11. 2014. DOI 10.1007/s10508-014-0422-z

Erstellt am 7. Januar 2015
Zuletzt aktualisiert am 8. Januar 2015

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