Muskelaktivität neutralisiert den Depression-Botenstoff auf dem Weg ins Gehirn

Der depressiven Stimmung davonlaufen

von Holger Westermann

Die positive Wirkung von Sport auf die Gemütslage ist hinlänglich bekannt und wird von vielen Patienten genutzt, um trister Stimmung zu entfliehen. Auch Ärzte empfehlen diese Form der Therapie, hat sie doch den attraktiven Nebeneffekt, dass sich ganz allgemein die Gesundheit verbessert. Aber warum und wie erzeugt regelmäßige körperliche Aktivität nachhaltig gute Laune? Schwedische Forscher haben im Mäuse-Experiment wichtige Hinweise auf den physiologischen Mechanismus gefunden.

Wie Menschen zeigen auch Mäuse unter Dauerstress depressive Symptome. Diesen Effekt nutzten die Forscher, indem sie die Tiere fünf Wochen lang durch Lärm, Flackerlicht und unregelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus (Schlafentzug) unter Stress setzten. Unter Stress wird in Skelettmuskeln die Aminosäure Tryptophan zu Kynurenin abgebaut*.

Das Kynurenin wirkt wie ein Hormon, es kann die Blut-Hirn-Schranke** überwinden und so im Gehirn als Botenstoff wirken. Dort verändert Kynurenin die Funktion von Nervenzellen und löst depressive Stimmungen aus. Regelmäßiges Muskeltraining über mehrere Wochen stimuliert dagegen die Synthese des Proteins PGC-1α1 (PGC-1alpha1), das die Bildung des Enzyms Kynurenin-Aminotransferase (KAT) anregt, das die Umwandlung von Kynurenin in Kynurensäure katalysiert. Kynurensäure kann die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden, die depressions-stimmulierende Wirkung bleibt aus.

Die Forscher züchteten nun Mäuse (gezielte genetische Manipulation), die ständig einen erhöhten PGC-1α1-Spiegel im Blut aufwiesen – diese Tiere zeigten trotz intensivem Dauerstress auch ohne Training keine Depressions-Symptome. Tiere aus einer nicht genmanipulierten Kontrollgruppe litten dagegen bei der selben Stressexposition unter deutlichen Depressionsanzeichen. Die selben Symptome ließen sich durch eine künstliche Steigerung des Kynurenin-Spiegel im Blut der Kontrollgruppen-Mäuse hervorrufen. Die gentechnisch veränderten Mäuse mit ständig erhöhtem PGC-1α1-Spiegel zeigten sich gegenüber Kynurenin-Injektionen unempfindlich. Ihr hoher KAT-Wert sorgte dafür, dass das Kynurenin seine depressionsfördernde Wirkung nicht entfalten konnte.

Für die Forscher waren diese Ergebnisse eine Überraschung. „Unsere Ausgangshypothese war, dass ein trainierter Muskel eine Substanz produziert, die einen positiven Effekt auf das Gehirn hat. Aber wir fanden das Gegenteil: Der Muskel produziert Enzyme, die schädliche Substanzen aus dem Körper entfernen“, erläutert der Studienleiter Prof. Dr. Jorge Ruas vom Karolinska Institut in Stockholm (Schweden). Regelmäßig trainierte Skelettmuskulatur schütze das Gehirn vor negativen Einflüssen, vergleichbar der Reinigungsfunktion von Nieren und Leber für den gesamten Körper.

In ihrem Fazit sind die Forscher durchaus geschäftstüchtig und schlagen die Entwicklung eines neuen Typs von Medikamenten vor: „Unsere Arbeit könnte neue Möglichkeiten der Behandlung von Depressionen eröffnen”. Anstatt Antidepressiva einzusetzen, die im Gehirn wirksam sind, könnten diese neuartigen Medikamenten am Kynurenin-Stoffwechsel oder am PGC-1α1 / KAT-Enzym ansetzen.

Andererseits könnten die Studienergebnisse auch Ärzte und Patienten dazu motivieren, nun ganz gezielt den Sport zur Depressions-Therapie einzusetzen. Offensichtlich ist ein regelmäßiges Training mit spürbarer Belastung der Muskulatur bereits ausreichend, um gänzlich auf Medikamente verzichten zu können, damit der hier beschriebene Effekt zur Verbesserung der psychischen Gesundheit genutzt werden kann.



* Der physiologische Unterschied zwischen beiden Aminosäuren ist, dass Tryptophan natürlicher Bestandteil tierischer (auch menschlicher) Proteine (Eiweiße, Hormone) ist, während Kynurenin nicht eingebaut werden kann.

** Barriere für große Moleküle wie Gifte und Krankheitserreger zwischen Blutkreislauf und Zentralnervensystem, kleine Moleküle wie Nährstoffe können passieren.

Quellen:

Agudelo, L.Z. et al. (2014): Skeletal Muscle PGC-1α1 Modulates Kynurenine Metabolism and Mediates Resilience to Stress-Induced Depression. Cell 159 (1): 33-45. doi: 10.1016/j.cell.2014.07.051.

Erstellt am 30. September 2014
Zuletzt aktualisiert am 30. September 2014

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