Hitzetage und Frost provozieren Koliken

Nierensteine wachsen bei Wärme und Kälte

von Holger Westermann

Doch nicht die Durchschnittstemperatur am Wohnort bestimmt die Dynamik des Wachstums der Steine, sondern die Zahl der Hitze- und Frosttage. Wetterextreme beeinflussen den Wasserhaushalt des Körpers. Bei Wasserverlust steigt die Salzkonzentration im Harn, dadurch können sich Kalziumsteine bilden oder bereits vorhandene wachsen. In den folgenden Tagen steigt die Zahl der Menschen, die wegen ihrer Nierensteine (Nephrolithen) ärztlich behandelt werden müssen.

Für die Studie wurden Patientendaten von 60.433 Erwachsenen und Kindern in den US-Großstädten Atlanta (Bundesstaat Georgia, 450.000 Einwohner), Dallas (Texas, 1.200.000), Philadelphia (Pennsylvania, 1.600.000), Chicago (Illinois, 2.700.000) und Los Angeles (Kalifornien, 3.800.000) aus den Jahren 2005 bis 2011 mit Wetterdaten verglichen. Dabei erkannten die Forscher vom Kinderkrankenhaus in Philadelphia (University of Pennsylvania) einen deutlichen Zusammenhang mit behandlungswürdigen Symptomen aufgrund von Nierensteinen und der Temperaturentwicklung.

Die Wetterdaten lieferte der nationale Wetterdienst der US-Luftwaffe und Marine. Die Forscher berücksichtigten die mittlere, minimale und maximale Tages (24-Stunden) Temperatur sowie die mittlere relative Luftfeuchtigkeit aller Wetterstationen der einzelnen Städte.

Überstieg die über alle Messpunkte einer Stadt gemittelte Tageshöchsttemperatur die 30°C (Meteorologen sprechen von einem “heißen Tag”), war die Zahl der Menschen, die wegen Nierensteinen ärztlich behandelt werden mussten, deutlich größer als bei einem durchschnittlichen Tagesmaximum von 10°C. Die Mehrzahl der Patienten meldete sich drei Tage nach einem heißen Tag wegen ihrer Nierensteinbeschwerden beim Arzt. Nur in Los Angeles konnte dieser temperaturabhängige Anstieg nicht beobachtet werden.

In Los Angeles liegt die Durchschnittstemperatur im Jahrsmittel bei 21°C und damit über dem Wert der Vergleichsstädte, doch schwanken sie nur zwischen 19°C im Januar und 25°C im August. Die Temperaturdifferenz im Jahreslauf ist in den anderen Städten dieser Studie deutlich stärker ausgeprägt:

  • Atlanta             Jahr* 22°C;  Sommer 31°C;  Winter   12°C;  Extremwerte 35°C,   -5°C
  • Dallas              Jahr  25°C;  Sommer 35°C;  Winter    14°C;  Extremwerte 45°C,  -18°C
  • Philadelphia    Jahr  18°C;  Sommer 29°C;  Winter      5°C;  Extremwerte 35°C,   -3°C
  • Chicago          Jahr  15°C;  Sommer 28°C;  Winter      0°C;  Extremwerte 41°C,  -30°C


* gemittelte Tageshöchstwerte

Die Forscher vermuten, dass die Menschen bei Hitze (und höherer Luftfeuchte) mehr schwitzen und so mehr Flüssigkeit verlieren. Dadurch steigt die Kalzium-Konzentrationen im Urin, die Nierensteine wachsen. Jeder Wachstumsschub der Steine erhöht das Risiko schmerzhafter Komplikationen. Dabei ist nicht die Größenzunahme an sich problematisch, sondern eine Blockade des Harnleiters (Ureter) durch Nierensteine oder Nierengries (viele kleine Nierensteine). Gelangen Steine oder Gries in den Ureter kann sich der muskulöse Transportschlauch um diese Fremdkörper verkrampfen – schmerzhafte Koliken sind die Folge. In den USA leiden derzeit etwa 9% der Menschen unter Nierensteinen. Über eine halbe Million Patienten werden deshalb pro Jahr in den Notaufnahmen der Krankenhäuser behandelt.

Dabei ist die Durchschnittstemperatur deutlich weniger relevant als einzelne Hitzetage. Bei hoher Luftfeuchtigkeit, wenn der Schweiß ohne kühlende Wirkung den Körper hinunter rinnt, steigt die gefühlte Temperatur noch über den Thermometerwert hinaus. Der Flüssigkeitsverlust übertrifft dann das ohnehin schon hohe Niveau heißer Tage. Eingedenk dieser Tatsache erklärt sich nach Meinung der Forscher auch, warum trotz vergleichbarer mittlerer Tagesmaxima von Atlanta und Los Angeles in der Coca-Cola-Stadt die Wahrscheinlichkeit von Nierenstein-Komplikationen fast doppelt so groß ist wie in der kalifornischen Metropole. Relevant sei die Häufigkeit extremer Hitzetage unter Berücksichtigung der Luftfeuchte (bei Menschenswetter wird deshalb ausschließlich die gefühlte Temperatur genutzt). Der durchschnittlichen Tageshöchsttemperatur käme dagegen nur nachrangiger Bedeutung zu.

Interessanterweise plagten die Nierensteine auch bei extremer Kälte, wenn auch nicht in allen Städten. Nur in Atlanta, Chicago und Philadelphia erhöhte sich bei Frost die Zahl der Arztbesuche aus diesem Grund. Die Forscher vermuten Verhaltensänderungen der Menschen als Ursache. Viele Menschen meiden bei Kälte den Weg ins Freie. Die Kälte könne garnicht direkt auf die Menschen einwirken. Doch trockene Heizungsluft und winterliche (energiereiche) Ernährung könne die Salzkonzentration im Urin ebenso steigern wie Sommerhitze.

Für Menschen, die ihr Risiko Nierensteine zu bilden kennen, sollten bei Hitze und bei Kälte unbedingt sehr viel Wasser (auch Fruchtsaftschorle oder zuckerarme Limonaden) oder Früchtetee trinken, um das Wachstum der Nierensteine zu verhindern. Treten Koliken auf, sollte sofort ein Arzt aufgesucht werden. Mit den Komplikationen ist nicht nur während der Hitze- oder Kältewelle zu rechnen, sondern auch noch mehrere Tage nach deren abklingen.

Grundstoff der Nierensteine sind zumeist Kalziumsalze, zwei von drei Steinen bestehen aus Kalziumoxalat (CaC2O4) und knapp 10% aus Kalziumphosphat Ca3(PO4)2. Deshalb sollten Menschen mit Neigung zur Nierensteinbildung oxalathaltige und phosphathaltige Lebensmittel meiden, beispielsweise

  • Rüben (Mangold, Rote Bete, Teltower Rübchen, …)
  • Rhabarber
  • Spinat
  • Schokolade
  • Nüsse
  • Erdbeeren
  • Weizenkleie
  • Cola
  • Kaffee
  • schwarzer Tee

 

Quellen:

Tasian, G.E. et al. (2014): Daily Mean Temperature and Clinical Kidney Stone Presentation in Five U.S. Metropolitan Areas: A Time-Series Analysis. Environmental Health Perspectives, online veröffentlicht am 10.07. 2014. DOI:10.1289/ehp.1307703

Gesamte Studie als pdf

Erstellt am 14. Juli 2014
Zuletzt aktualisiert am 15. Juli 2014

Unterstützen Sie Menschenswetter!

Die Höhe des Beitrags liegt in Ihrem Ermessen.

Weitere Informationen...

 3 Euro    5 Euro    12 Euro  
 Betrag selbst festlegen  

Zwischenfrühling

Sonnenschein, Wärme an langen lichten Tage dieser Frühlingsdreiklang lockt hierzulande in den kommenden Tagen ins Freie. Das nasskalte Wetter weicht angenehmer Witterung. Für die Mehrzahl wetterempfindlicher Menschen eine Wohltat - leider wird auch der Pollenflug stimuliert. weiterlesen...


Beschleunigte Alterung der Gehirne erwachsener Frauen nach traumatiesierender Erfahrung in der Kindheit

Erleiden Mädchen emotionale, sexuelle oder physische Gewalt, müssen sie als Frauen mit einem höheren Risiko für Depressionen, Angststörungen, Fibromyalgie, Herzkreislauf - und Stoffwechselerkrankungen leben. Forscher der Charité Berlin haben nun einen weiteren neurologischen Effekt erkannt. weiterlesen...


Schon wenig Rotwein kann massive Kopfschmerzen auslösen

Reichlich Rotwein am Abend kann morgens Kopfschmerz provozieren. Manchen Menschen leiden jedoch schon nach einem kleinen Glas oder gar einem Probierschluck Rotwein und rasch anflutenden Kopfschmerzen - nicht erst nach Stunden im alkoholvertieftem Komaschlaf, sondern unmittelbar anschließend bei hellwachem Bewusstsein. weiterlesen...


Impfsaison 2023/2024 für Menschen mit Atemwegserkrankungen

Robert-Koch-Institut (RKI) und Ständige Impfkommission (STIKO) empfehlen Menschen mit Asthma und COPD frühzeitige Impfung gegen Grippe (Influenza) und neue Corona-Varianten sowie eine Überprüfung des Pneumokokken-Schutzes zur Vorbeugung einer Lungenentzündung. Gerade in der jetzt beginnenden kalten Jahreszeit steigt neben Infektionen der oberen und unteren Atemwege auch das Risiko für spürbare Verschlechterung der Symptomatik von vorbestehenden Lungenerkrankungen. weiterlesen...


Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt Ärzte bei der Diagnose

Das Konzept der KI (im Englischen treffender als Artificial Intelligence bezeichnet) ist in der aktuell populären Version auf die Komposition von Texten optimiert. In der medizinische Diagnostik werden andere Qualitäten gefordert. Doch schon heute liefern solche Anwendungen erstaunlich kompetente Unterstützung. weiterlesen...


Wetterwechsel provoziert Migräneattacken

Befragt man Menschen, die unter Migräne leiden, werden zuverlässig bestimmte Wetterlagen oder  eine besonders dynamische Veränderung des Wetters als Auslöser von Schmerzattacken genannt. Deshalb wurde dieser besondere Umwelt-Trigger schon vielfach untersucht. Neue Studien zeigen, dass es nicht die Wetterlage ist, die Schmerzattacken auslöst. weiterlesen...