Intensives Voodoo-Puppen-Piesacken entlarvt gereizte Stimmung
Grantig durch Hunger
Schlecht gelaunt oder in mieser, gereizter Stimmung und auch unhöflich – so wird das Adjektiv „grantig“ in Süddeutschland und Österreich nicht nur umgangssprachlich verwendet. Es beschreibt offensichtlich präzise die soziale Stimmung hungriger Menschen – und deren Bereitschaft sich selbst ihrem Paarpartner gegenüber fies zu verhalten.
Knifflige Verhandlungen, ernste Beziehungsgespräche oder ausgedehnten Einkaufsbummel sollten mit einem kleinen Imbiss beginnen. Ansonsten drohen drastische Auseinandersetzungen. Laut einer aktuellen Studie nehmen Aggressivität (Aggressionsbereitschaft) und aggressives Verhalten (Intensität der Aggressionshandlung) bei sinkendem Blutzuckerspiegel zu. Die Forscher vermuten sogar, dass Hunger eine bisher unterschätzte Ursache für häusliche Gewalt sein könnte.
Für ihr Experiment untersuchte das Team um den Psychologen und Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Brad Bushman von der Ohio State Universität (Columbus, Ohio, USA) das Verhalten von 107 heterosexuellen Ehepaaren, die durchschnittlich zwölf Jahre miteinander verheiratet waren. Alle Teilnehmer erhielten eine Voodoo-Puppe, die den Ehepartner symbolisieren sollte – sowie 51 Nadeln zum symbolischen piesacken.
Drei Wochen lang wurde täglich am Morgen und vor dem Zubettgehen der Blutzuckerspiegel der Teilnehemer bestimmt. Parallel dazu durften die Teilnehmer Abend für Abend die Puppe malträtieren, je nachdem wie ärgerlich sie an diesem Tag auf ihren Ehepartner waren (natürlich ohne vom Partner dabei beobachtet zu werden). Es zeigte sich, dass auch in harmonischen Ehen, die Puppen um so mehr Nadelstiche erfuhren, je niedriger der Blutzuckerspiegel am Abend gefallen war.
In der zweiten Runde des Experiments sollten die Ehepartner in einem einfachen Videospiel gegeneinander antreten. Wer auf einen Lichtreiz hin (rotes Quadrat) als erster die Taste drückt, darf den Partner mit einem unangenehmen Geräusch quälen – so lang und laut wie es der Gewinner für angemessen hält. Die Auswahl möglicher Pein auf den Kopfhörer war liebevoll zusammengestellt: Kratzen von Fingernägeln auf einer Tafel, Sirenenheulen oder Zahnarztbohrer.
Was die Teilnehmer nicht wussten, der Ehepartner blieb vor der Aggression unbehelligt. Am andernfalls unvermeidlichen Ehezwist hatte die Forscher kein Interesse, wohl aber an der Intensität aggressiven Verhaltens in Relation zum Blutzuckerspiegel. Auch hier zeigte sich: Je niedriger der Blutzucker, desto länger und lauter war die Geräusch-Attacke auf den (geliebten) Partner. Wie wäre die Bestrafung wohl ausgefallen, hätten die Spieler über ihnen Unbekannte obsiegt?
Die Forscher gehen davon aus, dass bei sinkendem Blutzuckerspiegel auch die Selbstkontrolle schwindet. Mit einem niedrigen Glucose-Spiegel gelänge es nur unzureichend aggressive Impulse zu unterdrücken und Emotionen fein justiert zu steuern. Fehlt dem Gehirn der Treibstoff Glucose gelingt die energieaufwändige Selbstkontrolle nicht mehr, so die Forscher in ihrem Fazit.
Im Englischen wird diese Form der Aggressivität als „hangry“ bezeichnet, ein partielles Kurzwort aus hungry (hungrig) und angry (ärgerlich). Im Deutschen gibt es noch kein entsprechendes Wort, wie wäre es mit "hungergrantig"?
Quellen: Bushman, B. et al. (2014): Low glucose relates to greater aggression in married couples. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America (PNAS), online veröffentlicht am 14.04. 2014. doi: 10.1073/pnas.1400619111
Erstellt am 15. April 2014
Zuletzt aktualisiert am 29. November 2014

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