Für den Ruhepuls gibt es keinen Richtwert
Individueller Herzrhythmus
Die „normale“ Ruheherzfrequenz lässt sich gar nicht so leicht bestimmen, denn beim Termin in der Arztpraxis sind viele Menschen nervös oder unter Stress. Das Ergebnis beim Pulsmessen zeigt dann einen leicht erhöhten Wert, der eher den Grad der Nervosität als den Gesundheitszustand abbildet. Moderne Fitnessarmbänder, die nicht nur beim Sport, sondern im Alltag getragen werden, liefern dagegen aussagekräftige Daten.
So konnten die kontinuierlich protokollierten Herzfrequenz-Daten von 92.457 Erwachsenen (> 18 Jahre alt, body-mass index zwischen 15 und 50 kg/m2) ausgewertet werden. Dabei ergab sich ein Mittelwert von 65 Schlägen pro Minute - mit einer personenbezogenen Spannweite von 40 bis 109. Das ist nicht erstaunlich, denn laut Lehrbuchtabellen liegt der „normale“ Ruhepuls von Erwachsenen bei 60 bis 80 Schlägen in der Minute, bei Kindern liegt er höher, um die 110 und bei Senioren sind 70 bis 90 normal. Gut trainierte Ausdauersportler haben dagegen oft eine reduzierten Ruhepuls von 30 bis 40 (Quelle: netdoktor.de).
Bemerkenswert sind zwei Ergebnisse: Die Spannweite der individuellen Ruhepulsfrequenz war sehr groß und variierte um rund 70 Schläge pro Minute - fast doppelt so viele wie bei trainierten Ausdauersportlern als Mindestwert gemessen werden. In sofern ist es gewagt, bei Erwachsenen von einem „normalen“ Ruhepuls zu sprechen. Und das zweite Ergebnis stützt diese Erkenntnis, denn die Ruhefrequenz eines Menschen ist relativ konstant. Eine typische Veränderung ergab sich im Jahresverlauf. Im Winter war die Ruhefrequenz etwas höher als im Sommer.
Parameter, nach denen die Personen gruppiert werden konnten, wie Alter, Geschlecht, Body-Mass-Index (BMI) und die durchschnittliche tägliche Schlafdauer ergaben für den Ruhepuls keinen Gruppeneffekt, der größer als 10% gewesen wäre. Verschiebungen einzelner Parameter gibt es durchaus. Beispielsweise liegt die Verteilung und der Mittelwert bei Männern signifikant (mathematisch eindeutig) niedriger als bei Frauen (rund 3 Schläge pro Minute; 64 zu 67), aber weniger als 10%, wie von den Forschern als relevant (medizinisch bedeutsam) definiert.
Die Forscher empfehlen durch Langzeitmessung unter entspannten, stressfreien Bedingungen den individuellen Ruhepuls zu messen anstatt sich an „Normalwerten“ zu orientieren. Während der Auswertung fielen bei einigen Personen kurze Perioden mit erhöhtem Ruhepuls (um ca. 10 Schläge pro Minute) auf. Die Forscher vermuten, dass solche Schwankungen ein Indiz für anhaltende Stresserlebnisse oder ernsthafter Erkrankungen sind. Damit wäre ein Anstieg des individuellen Ruhepuls ein wertvolles Diagnoseindiz an dem sich eine Veränderung des Gesundheitszustands erkennen lässt.
Die Darstellung der Datenerhebung im Methoden-Abschnitt der Studie gestattet ein bemerkenswertes Nebenergebnis: Von 200.000 ausgewerteten Fitnessarmbändern mussten 102.803 ausgeschlossen werden, weil nicht genug Daten erhoben worden waren - also, weil die Geräte nicht hinreichend regelmäßig getragen wurden, sondern alsbald in der Schublade landeten. Als Mindestanforderung, um bei der Auswertung berücksichtigt zu werden, hatten die Forscher festgelegt: Während 35 Wochen sollte das Gerät an zwei Tage die Woche für 20 Stunden getragen werden. Dabei dürfte jeden „User“ (Nutzer) dieser „Wearables“ (Computer, die am Körper getragen werden - können) wissen, dass es nicht genügt, die Armbänder zu kaufen, man muss sie auch tragen und sich von den angezeigten Werten oder Protokollen motivieren lassen.
Quellen: Quer, G. et al. (2020): Inter- and intraindividual variability in daily resting heart rate and its associations with age, sex, sleep, BMI, and time of year: Retrospective, longitudinal cohort study of 92,457 adults. PLoS ONE 15(2): e0227709, online veröffentlicht 5.2. 2020. DOI: 10.1371/journal.pone.0227709
Erstellt am 11. Februar 2020
Zuletzt aktualisiert am 11. Februar 2020
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